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Geschichtliche Vorüberlegungen
τὸ γὰρ αὐτὸ νοεῖν ἐστίν τε καὶ εἶναι
Das Selbe nämlich ist Vernehmen (Denken)
sowohl als auch Sein.
Parmenides
Die Frage nach dem Ursprung des Kosmos bewegt das ‘Ich bin’ und treibt es in seinen Forschungen voran. Eingebettet in den Strom der Evolution bleiben ihm - heute wie in früheren Zeiten - nur das fraglose Akzeptieren, die moderne Wissenschaft oder die mühevolle Rückbesinnung; das Hinterfragen des ‘Jetzt’ im Geiste, die Suche nach dem Sinn und Zweck seines Daseins. Der Ursprung ist kein längst vergangenes, abgeschlossenes Ereignis, er ist jetzt und nur in seiner Ganzheit als Evolution des Kosmos verständlich. Das ‘Ich bin’ vereinigt in sich Ursprung und Gegenwart. Es ist das Produkt des Ursprungs und dessen Evolution. Nur in diesem Licht wird das ‘Ich bin’ begreifbar, erhält sein Dasein Sinn.
Das Auftauchen des ‘Ich bin’ in der Evolution des Kosmos, der bewussten Wahrnehmung einer das ‘Ich bin’ umgebenden und bedingenden Realität, markiert den Beginn eines mühevollen, mit zahllosen Steinen gepflasterten Weges zu einem Ersten, sich im weiteren Verlauf seiner Suche stetig differenziererden Verständnis der Natur des Kosmos. Höhlenmalereien und figürliche Artefakte stellen ein sichtbares Zeugnis der Frühphase des ‘Ich bin’, seiner Auseinandersetzung mit den äußeren, machtvollen und willkürlich handelnden Mächten dar. Magische Gesten, schützende Symbole und Opfergaben offenbarten ihm das Wesen der Natur, indem sie entweder Unheil bannten oder wirkungslos blieben - das Ritual als frühes Experiment, ein Lernen über Versuch und Irrtum und ein erstes, nachdenkliches Staunen angesichts des Erfolges oder Misserfolges der Handlung. Dies führte, mit zunehmender Beschleunigung der Evolution, über die Schöpfungsmythen zu Philosophie, Religion, Alchemie bis zu der neuzeitlichen Wissenschaft mit ihren vielfältigen Theorien. Die Gemeinsamkeiten in den Beschreibungen über die Schöpfung des Kosmos und dessen Mannigfaltigkeit in den schriftlichen Überlieferungen der Völker sind unbestritten und auf wenige Begriffe reduzierbar: Urgrund, Weltenei, das Eine, Gott, mehrere Götter oder in Form des Dualismus von Gut und Böse, Geist und Materie.
Zudem geht es um die generelle Erkennbarkeit des Kosmos. Synonym dafür steht der Begriff ‘Wirklichkeit’1, über den nicht nur im Bereich der Philosophie widerstreitende Auffassungen bestehen, wobei zwischen erkenntnistheoretischen, ontologischen und wissenschaftlichen Sichtweisen unterschieden wird. Für die Naturwissenschaft ist Wirklichkeit das der Erforschung Zugängliche. Mit anderen Worten: Nur messbare Objekte können als Grundlage zur Theoriebildung dienen, im Gegensatz zum umgangssprachlichen Gebrauch des Begriffes, der die Gesamtheit einer umfassenderen Realität bezeichnet.
Die Auseinandersetzung nahm im Mittelalter mit dem Universalienstreit ihren Anfang und fand mit der Philosophie von R. Descartes2 und der idealistischen Auslegung durch G. Berkeley3 ihren neuzeitlichen Beginn. J. G. Fichte4, sein subjektiver Idealismus und die von I. Kant5 weiter angeregte Diskussion infolge seiner Definition der Außenwelt als ‘Ding an sich’ regten die Diskussion weiter an.
Für Kant sind die Eigenschaften der Dinge nicht erkennbar, sondern nur die von ihnen affizierten Vorstellungen im Bewusstsein. Die Gleichheit der Erkenntnisse führte ihn zu der Behauptung, dass Vorstellungen (Wahrnehmungen der Außenwelt) intersubjektiv sind und ihnen somit ein objektives Wissen zugrunde liegt. Zugleich umfasste der Verstand bei ihm die intelligible Welt (Vorwissen a priori). Anders formuliert: Der Homo sapiens verfügt über ein Wissen von Raum und Zeit, über Kategorien des Denkens, welche die Vorstellungen ordnen und nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten in Begriffe und Aussagen umwandeln.
Der ‘Deutsche Idealismus’ der um die Wende des 18. zum 19. Jahrhunderts in Deutschland die vorherrschende philosophische Strömung war, nahm Abstand vom Ding an sich und vertrat die Meinung, dass Wirklichkeit als ein Produkt des Geistes und deshalb als ‘Einheit’ aufzufassen ist, weil ihm eine gemeinsame Ursache zugrunde liegt. Den Gegenpart bildete N. Hartmann6 mit seinem kritischen Realismus und in dessen Nachfolge K. Popper7, die ähnliche Auffassungen propagierten.
Der Streit um die Erkennbarkeit der Wirklichkeit ist bis heute aktuell und es bleibt die Frage: Was ist die Wirklichkeit? Die Ideenwelt von Platon8, von der Heisenberg sagt, dass „(...) die platonische Auffassung tatsächlich die tiefste ist“9? Sind die Bausteine der Materie physikalische Objekte oder Formen, folglich Platons Ideen?
C. F. von Weizsäcker10 attestierte der Quantentheorie eine über sie hinausführende umfassende - spiritualistische - Wirklichkeit, von der wir lediglich die Oberfläche wahrnehmen. Er sagte dazu:
„Mit der Quantentheorie, so wie wir sie rekonstruiert und gedeutet haben, ist der Gedanke voll vereinbar, dass die Wirklichkeit ein nichträumlicher individueller Prozess ist, den wir mit den uns geläufigen Worten als geistig zu beschreiben haben. Es ist eine alte Tradition, dass unser persönliches Bewusstsein nur eine Erscheinungsweise eines umfassenden Geistes ist.“11
Mit anderen Worten: Die Wirklichkeit offenbart sich dem Homo sapiens in empirisch zugänglichen und bewussten Wahrnehmungen und kann deshalb erkannt und in decodierter Form dem ‘Ich bin’ als Erkenntnis zuteilwerden.
Die Quantentheorie erschütterte das gewohnte Weltbild der Wissenschaft und entfachte nicht nur die Diskussion über die Wirklichkeit neu, sondern fügte ihr die Dimension der ‘Dualität’ der Natur hinzu, auf welche bereits Plotin12 und Descartes hingewiesen haben. Die Frage, ausgehend von Descartes Behauptung, dass die physikalischen Körper als Lebewesen für sich und aus sich selbst heraus existieren und sich infolgedessen die gesamte Wahrnehmung, in Gegensatz zu ihrem Denken, als Täuschung erweisen kann, beantwortete er mit der Eigenständigkeit von Körper und Geist als getrennte Substanzen.
Über T. Hobbes13 (materialistische Beschreibung), B. de Spinoza14 (Gott als Substanz, der die Wirklichkeit hervorbringt) und G. W. Leibnitz15 (Monadenlehre) führt die Interpretation der Quantentheorie zu I. Newton16 (‘spirits’ als geistige, feinstoffliche Entitäten), S. Hawking17 (Hologramm, dessen Projektion auf einer Membran erscheint) bis in die Gegenwart. Ob in der Physik, den Neurowissenschaften oder in der Philosophie, die Frage nach der Beschaffenheit der Wirklichkeit ist aktueller als jemals zuvor; explizit in der Diskussion der bewussten Wahrnehmung und deren Verbindung mit dem ZNS, insbesondere des Gehirns.
Weizsäckers Annahme eines umfassenden Geistes impliziert ein ‘Weltgedächtnis’, dessen Präsenz mit dem Aufkommen der bewussten Wahrnehmung des ‘Ich bin’ erstmalig in Erscheinung getreten ist. Der Begriff ist nicht neu und findet seine erste Erwähnung bei Plotin (‘das Eine’, aus dem das Seiende hervorging), M. Ficino18 (‘alte Weisheit’, Menschheitserbe an gesichertem Wissen) und Paracelsus19 (Zusammenfassung von Himmel und Erde zu einem Mikrokosmos). Auch spätere Denker wie W. James20 (‘kosmisches Reservoir’) und E. von Hartmann21 (Telefonanschluss mit dem Absoluten, in Bezug zu der Akasha-Chronik22) griffen auf diese Vorstellung zurück. In neuerer Zeit dürfen H. Sheldrake23 (morphologische Felder) und R. W. Zuber24 nicht unerwähnt bleiben, deren ‘unbewusstes Weltgedächtnis’, wie Zuber es bezeichnet, “(...) den Menschen aus dem Zentrum des eigenen Hauses drängt und das ‘Ich’ nicht nur infrage stellt, sondern auch zu einem unbedeutenden Punkt inmitten eines riesigen unbewussten Meeres degradiert“25.
Bis heute ist die Diskussion über die Wirklichkeit, den Ursprung des Kosmos, in vielfältiger Weise behandelt worden und konnte an dieser Stelle nur in exemplarischen Schlaglichtern vorgestellt werden.
1 Wirklichkeit von lat. Realitas, von res ‘Ding’.
2 René Descartes (* 31. März. 1596; † 11. Februar 1650) war ein französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler.
3 George Berkeley (* 12. März 1685; † 14. Januar 1753) war ein anglikanischer Theologe und Philosoph der Aufklärung.
4 Johann Gottlieb Fichte (* 19. Mai 1762; † 29. Januar 1814) war ein deutscher Philosoph, Vertreter des Deutschen Idealismus.
5 Immanuel Kant (* 22. April 1724; † 12. Februar 1804) war ein deutscher Philosoph der Aufklärung.
6 Nicolai Hartmann (* 7. Februar 1882; † 9. Oktober 1950) war ein deutscher Philosoph.
7 Sir Karl Raimund Popper (* 28. Juli 1902; † 17. September 1994) war ein österreichisch-britischer Philosoph.
8 Platon (* 428/427 v. Chr.; † 348/347 v. Chr.) war ein antiker griechischer Philosoph.
9 Heisenberg, Gesammelte Werke, Bd. V, 1989, S. 628.
10 Carl Friedrich von Weizsäcker (* 28. Juni 1912; † 28. April 2007) war ein deutscher Physiker und Philosoph.
11 C. F. v. Weizsäcker, Aufbau der Physik,1985, S .619.
12 Plotin (* 205; † 270) war ein antiker Philosoph. Begründer und bekannteste Vertreter des Neuplatonismus.
13 Thomas Hobbes (* 5. April 1588; † 4. Dezember 1679) war ein englischer Mathematiker und Philosoph.
14 Baruch de Spinoza (* 24. November 1632; † 21. Februar 1677) war ein niederländischer Philosoph.
15 Gottfried Wilhelm Leibniz (* 21. Juni 1646; † 14. November 1716) war ein deutscher Philosoph und Wissenschaftler.
16 Sir Isaac Newton (* 25. Dezember 1642; † 20. März 1727) war ein englischer Naturforscher.
17 Stephen William Hawking (* 8. Januar 1942) ist ein britischer theoretischer Physiker und Astrophysiker.
18 Marsilio Ficino (* 19. Oktober 1433; † 1. Oktober 1499 war ein Humanist und Philosoph.
19 Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (* verm. 1493; † 24. September 1541) war ein Arzt, Alchemist, Mystiker und Philosoph.
20 William James (*11. Januar 1842; † 26. August 1910) war ein amerikanischer Psychologe und Philosoph.
21 Karl Robert Eduard von Hartmann (* 23. Februar 1842; † 5. Juni 1906) war ein deutscher Philosoph.
22 Akasha-Chronik bezeichnet in der Esoterik, vor allem in der modernen (anglo-indischen) Theosophie und in der Anthroposophie, die Vorstellung von einem übersinnlichen ‘Buch des Lebens’ , das in immaterieller Form ein allumfassendes Weltgedächtnis enthält.
23 Rupert Sheldrake (* 28. Juni 1942) ist ein britischer Biologe.
24 Ralf W. Zuber, Psychologe und Philosoph.
25 Zuber, Das unbewusste Weltgedächtnis, 1998.