Sinn des Daseins

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Über den Sinn des Daseins

„Verehrter Tathagata“, sprach ein junger, noch ungeduldiger Schüler, der erst seit wenigen Wochen unter ihnen weilte, „die Weisen sagen, dass es für den Menschen keine schlüssige Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben kann. Sie begründen ihre Worte mit dem Wesen des Kosmos, dessen Dualität, welche die Fähigkeiten der Erkenntnis des Menschen übersteigt. Entsprechen ihre Worte der Wahrheit?“, fragte der Schüler und setzte sich voller Erwartung, weil er endlich Aufklärung über die sein Herz aufwühlenden Worte erwartete.

„Höret!“, antwortete Tathagata mit erhobener Stimme und fasste den jungen Schüler fest ins Auge, der sofort erbleichte und voller Demut den Kopf senkte. „Was lehrte ich euch? Einfach ist die Wahrheit und erst der Pfad der kosmischen Evolution erzeugte die Mannigfaltigkeit. Die Weisen“, sagte Tathagata gedehnt und blickte in den sich allmählich verdunkelnden Abendhimmel, „sprechen die Wahrheit, und doch sind ihre Worte wie Sandkörner in der unermesslichen Weite der Wüste.

Ich sage euch, meine Schüler, der Sinn des Daseins erschließt sich jedem Ich bin auf seine individuelle Weise. Deshalb ist der Pfad des Kosmos ohne Sinn, wenn das Ich bin seine Antwort auf das, selbst dem Kosmos verborgenen Ziel der Evolution gründet. Wie sollten ihre Worte sonst klingen?

Ist nicht der Pfad des Kosmos das Ziel? Und das Ankommen ohne Bedeutung? Existieren nicht vielfältige Unwägbarkeiten, die das Ziel und damit den Sinn seines Pfades verschleiern, wie die Nebel am Morgen den von der Sonne rötlich gefärbten Horizont? Und spricht nicht aus dem Vergangenen, welches das im Dasein sich Bewährende erhält, während er das Andere achtlos verwirft, ein verborgener Sinn?“


„So existiert“, verehrter Tathagata, „der Sinn des Daseins nur im ‘Jetzt’?“, folgerte ein Schüler, der stets voller Hingabe den Worten von Tathagata lauschte.

„Höret! Das Ich bin ist und mehr soll es nicht sein. Dasein auf dem Pfad des Kosmos und ihn bewusst wahrnehmen. Dass heißt: das Wesen des Kosmos, seine zehntausend Wesen, auf eine neue Weise ins Dasein treten lassen. Vergesst nicht! Das Fundamas hält jede Transformation im Dasein und somit auch das Dasein des Ich bin über dessen letzte Transformation, den Tod, hinaus. Sprechen die Weisen nicht von der Auferstehung des Ich bin in dessen ursprünglichem Leib, wenn sie am Tag des ‘Jüngsten Gerichts’ wie aus einem Schlaf erwachen?

Andere Weise verkünden, dass das Wesen des Kosmos sich nach seinem Ursprung zurücksehnt und es in Hinwendung zu ihm, den dem Ich bin in der bewussten Wahrnehmung zur Erscheinung gelangenden Kosmos, erzeugt.

Deshalb, meine Schüler, ist der Sinn des Daseins des Ich bin das Dasein selbst. Darin erkennt das Wesen des Kosmos sein Selbst, und nicht ohne Grund steht am Eingang zum Orakel von Delphi ‘Erkenne dich selbst’. Diese Worte offenbaren das Wesen des Kosmos, dessen Sinn seines Seins im Dasein.“


„Aber“, wendete derselbe Schüler mit stockender Stimme ein, „die Weisen behaupten, dass das ‘Ich bin’ die Bedeutung seines Seins erst nach dessen Erleuchtung begreift, weil die Wahrheit darüber bis zu dieser Erfahrung vom ‘Ich bin’ selbst blockiert worden ist.“

„Ich selbst habe sie so reden hören“, verehrter Tathagata, rief ein anderer Schüler, als bedürften die Worte seines Freundes der Bestätigung. „Die Erleuchtung“, so lehren sie weiter, „verknüpft das ‘Ich bin’ mit dem kosmischen Wesen und unterwirft es dessen Willen und Wollen. Der Sinn des ‘Ich bin’ liegt für sie in dessen selbstloser Teilhabe.“

„Was, so frage ich euch, meine Schüler, ist für das Ich bin mit dieser einzelnen, bewussten Wahrnehmung in seinem Wesen anders geworden? Weshalb erblickt das Ich bin innerhalb eines Augenblicks einen Sinn im Wesen des Kosmos und damit im eigenen Dasein, wo zuvor nur Leere und Sinnlosigkeit beheimatet waren? Existieren unterschiedliche Pfade im Wesen des Kosmos? Pfade mit Sinn und solche, die ihn vermissen lassen? Unterscheidet sich die Teilhabe an der Familie, den Freunden, der Gemeinschaft, von der Teilhabe am Wesen des Kosmos? Verleiht somit nur diese Teilhabe einen, für das Ich bin im ‘Jetzt’ erfahrbaren, umfassenderen Sinn des Daseins, den wahren Sinn des Kosmos und damit auch seines Selbst? Führen diese nicht zu der Schlussfolgerung, dass nur die Zellen des Herzens über einen Sinn für ihr Dasein verfügen, im Gegensatz zu den übrigen Zellen des Leibes, deren Dasein damit sinnlos erscheint?

Wird mit dieser Sichtweise der Weisen nicht eine Hierarchie, ein Kastensystem erstellt, das den Sinn des Seins über der Spezies des Homo sapiens zum Aufleuchten bringt, und ihm - analog den Gewächsen im Urwald - den von der Sonne Beschienenen, den Erleuchteten, somit einen Sinn des Daseins zukommen lässt, während die, welche am Boden, im Zwielicht oder in völliger Dunkelheit ihr Dasein fristen, kaum mehr als Nahrung für die Erleuchteten sind, um auf diese Weise der völligen Sinnlosigkeit zu entgehen? Spricht nicht auch aus ihrem Opfer der Sinn des Daseins?

Und sagen die Weisen nicht auch, dass das Ich bin selbst in der Ganzheit, als Teil des kosmischen Wesens, ihm dessen Sinn verborgen bleibt? Entschlüpfen diese Weisen aufgrund ihrer Erleuchtung, nicht der, vom Ich bin bedingten, Sinnlosigkeit des Dualismus, indem sie in einer umfassenderen Ganzheit ihre Existenz begründen, deren Sinn des Daseins ihnen ebenso verborgen ist wie der ihres überwunden geglaubten sinnlosen Seins? Ist somit der wahre Sinn des Daseins, wie er dem Ich bin aus dieser Ganzheit zur Erscheinung gelangt, nicht eine Illusion und damit mit demselben Stellenwert behaftet wie ein selbst gesetzter Sinn in den Niederungen seines Daseins?

Die Erleuchtung, die Erfahrung der Ganzheit, ist für das Ich bin - wie es diese Erfahrung auch interpretiert - ein Erlebnis, das ohne Zweifel in der Lage ist, die Sichtweise des Ich bin zu verwandeln und zumindest im einen oder anderen Falle, sein Minderwertigkeitsgefühl in einen höheren Daseinszweck zu transformieren und es damit der Sinnlosigkeit zu entreißen.“


Gruß und Gesundheit

Tathagata

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