Gedanken über das 'Ich bin' und dessen Realität

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Ich bin’?

„Der Geist erkennt denkend das Sein. Und indem er das Sein denkt und erkennt, weiß er zugleich sich selbst. In seinem Denken weiß der Geist sich selbst als Identität von Denken und Sein. Diese Identität ist keine punktuelle Identität, in der der Geist nur seine eigene Existenz erkennt, sondern die vollständige Selbsterkenntnis seines Wesens.“1

Und:

„(...) weil ein Nous, der sich täuschte, eben ohne Einsicht, also ohne Nous wäre; ein einsichtsloser Nous wäre ein Widerspruch in sich. Der Geist ist somit der Ort der zweifelsfrei gewissen Wissens: ‘Er muss also immer wissen, darf nichts je vergessen, und sein Wissen darf nicht auf vermuten beruhen, noch zweifelhaft sein, noch auch von einem anderen stammen, von dem er es gleichsam gehört hätte.“2

Plotins Geist, der denkend das Sein erkundet, ist der bewusste Geist des Homo sapiens, des individuellen Ich bin. Auch wenn er sagt, dass es keine punktuelle Identität und somit ein kosmischer Geist ist, der in der vollständigen Selbsterkenntnis sein wahres Wesen erkennt, so ist das Ich bin aufgrund seiner Teilhabe sowohl an der Spezies Homo sapiens als auch an dem Kosmos, in dessen Bewusstwerdung involviert. Des Weiteren muss der Geist um seine Vergangenheit wissen; sie konstituiert ihn und bedingt seine Evolution. Das Ich bin rekrutiert sich aus seinem Informationsgehalt (Gedächtnis), der kontinuierlichen Abfolge seiner Ereignisse. Erneut wird das Ich bin mit den grundlegenden Eigenschaften des Wesens des Kosmos konfrontiert, der Wiederholung bewährter Strukturen auf höherer Ebene, in komplexerer bzw. differenzierterer Weise.


Wenn das ‘Ich bin’ nur eine Illusion sein soll, dann frage ich mich, aus welchem Grund der Kosmos den Menschen zu täuschen versucht? Ist er für die Erkenntnis nicht reif genug? Gleicht er einem Kinde, das erst seine Erfahrungen sammeln muss, ehe es für die Wahrheit bereit ist?

Ohne ein erkenntnisfähiges ‘Ich bin’ gäbe es weder einen Buddha noch seine Lehre, noch die Erlösung durch das Erlangen der Buddhaschaft. Buddhas Leib könnte sehr wohl existieren, sich von Wurzeln ernähren, den Mond bestaunen, Kinder zeugen und er würde altern, von Krankheit befallen werden und sterben. Häuft dieser Mensch, der Vorfahre des Homo sapiens, schlechtes Karma an? Für ihn zählt im täglichen Daseinskampf nur das Überleben - der Erhalt seines Daseins - und da er weder den Begriff des Guten noch des Bösen kennt, wie kann er in einem solchen Fall schlechtes oder gutes Karma ansammeln? Und wenn er wiedergeboren wird, büßt er dann für das Töten eines Tieres und selbst wenn, wo liegt der Nutzen, da er sein jetziges Dasein ohnehin nicht begreift bzw. in irgendeiner Form einzuordnen weiß. Oder ist er aufgrund seiner Unwissenheit in der glücklichen Lage, sofort den Kreislauf von Geburt und Tod zu durchbrechen?


Da jede innere und äußere Erscheinung leer von einem Selbst ist, weil nichts aus sich selbst heraus entsteht und vergeht, sondern aufgrund des Zusammentreffens von die jeweilige Erscheinung ermöglichenden Faktoren bedingt wird. Auch das ‘Ich bin’ unterliegt dieser Gesetzmäßigkeit und kann daher nicht von dauerhafter und substanzieller Natur sein. Alles ist aus verschiedenen, sich ständig neu zusammenfindenden Komponenten zusammengesetzt und daher der Vergänglichkeit und Veränderung unterworfen.


Was bedeutet Leerheit wirklich? Die Leerheit ist frei von Subjektivität und damit frei von Dualität - in ihr können sich alle Möglichkeiten gleichwertig entfalten. Alle Erscheinungen besitzen die gleiche Gültigkeit, also Existenzberechtigung.


Betrachten wir dazu das Wesen des Kosmos (seine Gesetzmäßigkeiten) so stellt sich natürlich die Frage, weshalb bringt er ein ‘Ich bin’ hervor, das sich seiner selbst bewusst ist? Die Antwort liegt im Prozess der Transformation, der stets eine duale Information erzeugt. Das Seiende bzw. dessen Wandel (Evolution) und die Information über diesen Prozess der Transformation. Letzteres - die Information über den Prozess der Transformation - bleibt als Informationsgehalt des Seienden erhalten und bildet das (Ur)Kriterium des Kosmos: Es bestimmt über den ‘Pool an Möglichkeiten’ die Evolution des Kosmos und tritt in differenzierter Form z. B. beim Homo sapiens als moralisches Verhalten in Erscheinung.

Das Wesen des Kosmos ist trotz der Vergänglichkeit des Seienden auf dessen Erhaltung ausgerichtet. Der Erhalt des Seienden kommt z.B. im Überlebens- bzw. Daseinskampf zum Ausdruck, worunter auch die Achtsamkeit, die Gebote der Bibel und die modernen Moralvorstellungen gehören. Die Hervorbringung des ‘Ich bin’ ist nur ein Mittel, um die Spezies des Homo sapiens im Dasein zu halten. Der Erhalt des Seienden ist als Prozess wertfrei. Was zählt, ist einzig der Erhalt.

Möglichkeiten können sich insofern frei entfalten, solange sie dies ungestört tun können. Ist dies nicht mehr der Fall, so wird die Möglichkeit gewählt, die den Erhalt der betroffenen Entität mit größerer Wahrscheinlichkeit gewährleistet bzw. die optimale Strategie oder Lösung darstellt. Somit besitzen - der Umstand darf bedauert werden - nicht sämtliche Erscheinungen die gleiche Gültigkeit, also Existenzberechtigung.


Des Weiteren spricht noch ein anderer Wesenszug des Kosmos gegen den zu erstrebenden Zustand der Leerheit. Das Wesen des Kosmos strebt vom Einfachen zum Komplexen; von der ursprünglichen Einheit in eine differenzierte Mannigfaltigkeit. Oder mit anderen Worten: Jede Wechselwirkung fügt der umfassenden Einheit explizit eine duale Information hinzu und bewirkt somit, dass das Seiende mit jeder Transformation in seinem strukturellen Aufbau komplexer bzw. differenzierter wird. Die Erhaltung des Seienden sowohl als zur Erscheinung gelangtes Ereignis als auch in Form des Informationsgehaltes bedingt nicht nur die Komplexität und Differenzierung des Seienden, sondern zudem die Mannigfaltigkeit des Kosmos. Oder auch: Die zunehmende Komplexität des Seienden erzeugt, ausgehend vom ursächlichen Ereignis, dem ‘Pool an Freiheitsgraden’, über das Basiselement, das ‘Fundamas’ als Prozess der Transformation von Freiheitsgraden in duale Information bis zum Grundelement die komplexe Mannigfaltigkeit des Kosmos.

Dürrenmatt sagt in den Physikern: ‘Einmal Gedachtes kann nicht zurückgenommen werden.’ Ebenso verhält es sich mit dem Seienden, es kann weder negiert noch ausgelöscht werden. Natürlich kann ich mich von allen Anhaftungen des Lebens lösen, mich somit vom Leiden befreien und durch ein Leben in Achtsamkeit versuchen, den Kreislauf der Wiedergeburten zu durchbrechen. Es ist ein Weg aus der Mannigfaltigkeit möglicher Lebenswege und ob er für die weitere Entwicklung des Kosmos von Nutzen oder Bedeutung ist, wird erst die Zukunft erweisen können.


Lebe so, dass du für die Zukunft des Kosmos von Nutzen bist.


Diese Maxime, von der ich ausgegangen bin, ist natürlich nur für diejenigen Menschen von Bedeutung, die entweder an ein Weiterleben nach dem Tod oder an die Auferstehung und an ein künftiges Leben im Paradies glauben. Das Wesen des Kosmos ist eine sich in zunehmendem Maße differenzierende Einheit, die vom Kleinsten ausgehend, analog einer Zwiebel mit ihrem Schalenaufbau, beständig umfassendere Strukturen erzeugt. So ist der Mensch in eine Familie eingebunden, diese in einer Familienverband, der wiederum Teil einer Gemeinschaft (Verein, Gemeinde usw.) ist und letztlich in Stadt, Staat, Land usw. bis hin zur gesamten Menschheit reicht. Diese Einheit besitzt, wie bereits gesagt, eine innere duale Struktur. Jeder Gedanke, jede Handlung, jeder Atemzug usf. bleibt im Seinsfeld (das den Homo sapiens Umfassende) erhalten.


1 Zit. bei J. Halfwassen, Plotin und der Neuplatonismus, S. 59.

2 Ebd. S. 60.


Gesundheit und Glück


Tathagata

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