Nous

  • Nous oder Nus ( altgriechisch νοῦς) ist ein Begriff der antiken griechischen Philosophie. Er bezeichnet die menschliche Fähigkeit, etwas geistig zu erfassen, und die Instanz im Menschen, die für das Erkennen und Denken zuständig ist. Im Deutschen wird „Nous“ meist mit ‘Geist oder Intellekt’ wiedergegeben, die lateinische Entsprechung ist intellectus. In metaphysischen und kosmologischen Lehren, die von einer göttlichen Lenkung der Welt ausgehen, wird als Nous auch ein im [lexicon]Kosmos[/lexicon] wirkendes Prinzip bezeichnet, die göttliche Weltvernunft.

    In Platons Philosophie gehört die Lehre von der Vernünftigkeit der Weltordnung zu den Kerngedanken. Der Nous herrscht als Weltvernunft über Himmel und Erde. In der platonischen Schöpfungslehre ist es der Demiurg (Schöpfergott), dessen Nous die Ideen, die ewigen Urbilder der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, dem physischen Kosmos vermittelt und diesem dadurch Gestalt verleiht. Dabei benötigt der göttliche Nous, um auf den ihm fremden raumzeitlichen Bereich der Materie einwirken zu können, die Weltseele als Zwischeninstanz. Durch diesen geistigen Einfluss erhält die von sich aus ungestaltete, chaotische Sinneswelt ihre vernunftgemäße und damit auch schöne Struktur und wird zugleich belebt, denn die platonische Ideenwelt, der sie alles verdankt, ist selbst von Leben durchdrungen. Als Erzeugnis der Ideenwelt ist die Welt der sinnlich wahrnehmbaren Formen ein von der Weltseele beseeltes und gelenktes Lebewesen. Sie ist auch selbst vernünftig, da der Demiurg die Weltseele mit einem eigenen Nous ausgestattet hat, der die Ursache der regelmäßigen Abläufe im Kosmos ist.

    Vom Nous geht nur Gutes aus, seine schöpferische Tätigkeit zielt stets auf das Bestmögliche. Allerdings ist seine Herrschaft im Kosmos nicht absolut. Das Prinzip, das seinen Einfluss auf die materielle Welt einschränkt, ist die Notwendigkeit (anánkē). Die Notwendigkeit setzt dem innerhalb des materiellen Bereichs Realisierbaren diejenigen Grenzen, die sich notwendigerweise aus der Natur der Materie ergeben. Die Materie ist nämlich ihrer Natur nach nicht dazu geeignet, sich ebenso wie die geistige Welt widerstandslos vom Nous gestalten und lenken zu lassen. Ihre naturgegebene (und damit notwendige) Mangelhaftigkeit lässt das nicht uneingeschränkt zu. Im Schöpfungsmythos, der in Platons Dialog Timaios erzählt wird, bewegt der Nous die Notwendigkeit durch „vernünftige Überredung“ zur Unterwerfung und zu konstruktivem Zusammenwirken. Sein Walten setzt sich gegenüber dem Zufälligen, Ungeordneten, das notwendigerweise aus der Beschaffenheit der Materie resultiert, weitgehend durch. Daraus ergibt sich, dass im Kosmos Ordnung und Gesetzmäßigkeit vorherrschen. Die Tendenz der Materie zum Chaotischen wird durch die Einwirkung des Nous eingedämmt. Somit ist die Welt, in der die Menschen leben, nicht als Erzeugnis des vollkommenen Nous in jeder Beziehung schlechthin optimal. Vielmehr sind die bestehenden Gegebenheiten nur das Beste, was der Nous hier der Notwendigkeit abringen kann.


    Hellenismus:


    Für Platons Schüler Speusippos ist der Nous mit dem Demiurgen identisch, er ist ein transzendenter Gott. Xenokrates, ein weiterer Schüler Platons, setzt den Nous mit der monás gleich, dem Einen (hen) als dem ontologisch höchsten Prinzip und der obersten Gottheit.

    Im Mittelplatonismus und im Neupythagoreismus ist die Auffassung verbreitet, das ontologisch höchste Prinzip sei mit dem Seienden und zugleich mit dem Nous und mit Platons Demiurgen zu identifizieren. Die Mittelplatoniker betonen die Transzendenz dieses Prinzips gegenüber den übrigen Seinsstufen, die ihm alle untergeordnet seien. Mit der Positionierung des Nous an der Spitze der hierarchischen Rangordnung stimmen sie mit Aristoteles und Xenokrates überein. Dieser Ansicht schließt sich auch der Verfasser der Chaldäischen Orakel an; er stellt den „ersten Nous“ als „Monas“ an die Spitze seines Systems und fasst die Weltseele, die in seiner Stufenordnung unmittelbar auf diese oberste Gottheit folgt, als zweiten Nous auf. Auch der einflussreiche Mittelplatoniker Numenios nimmt unter dem ersten Nous einen zweiten an, den er für den Schöpfer des sinnlich wahrnehmbaren Kosmos hält.

    Im 3. Jahrhundert fasst Plotin, der Begründer des Neuplatonismus, die Ideen mit Berufung auf Platon als die Inhalte der zeitlosen Selbstanschauung des absoluten, überindividuellen Nous auf. Diesen Nous identifiziert er mit dem ursprünglich Seienden und – wie schon die Mittelplatoniker – mit dem Demiurgen. Im Unterschied zu den Mittelplatonikern grenzt er den Nous aber scharf vom Einen, dem höchsten Prinzip, ab. Das Eine hält er für „überseiend“, der Nous ist bei ihm das Abbild des Einen und als solches das zweithöchste, dem Einen unmittelbar untergeordnete Prinzip. Ausführlich begründet Plotin seine Überzeugung, dass das Eine vom Nous verschieden und ihm übergeordnet sei. Er argumentiert, wenn das Denken des Nous sich auf ihn selbst beziehe, sei er zugleich Denkendes und Gedachtes und damit sei in ihm bereits eine Zweiheit gegeben, die seine Identität mit dem absolut Einen ausschließe. Wenn sich der Nous aber denkend einem Objekt zuwende, das außerhalb von ihm ist, so werde dieses Objekt als ihm vorgängiges Prinzip vorausgesetzt, was ebenfalls die Annahme einer vorhandenen Zweiheit erfordere und damit die Gleichsetzung des Nous mit dem höchsten Prinzip, dem ursprünglich Einen, verunmögliche.

    Plotin ist der Auffassung, dass der Nous sich einerseits dem Einen zuwendet („auf es hinblickt“), andererseits aber auch bei sich selbst ist und – wie schon Aristoteles annahm – sich selbst denkt. Dieses Denken ist ein unmittelbares Erfassen der in ihm enthaltenen Denkobjekte. Im Nous bilden Denksubjekt, Denkobjekt und der überzeitlich zu verstehende Denkakt eine Einheit, das Denkobjekt hat ontologisch keine Priorität vor dem Denken. Neben dem Denken und dem Sein hebt Plotin das Leben als drittes Merkmal des Nous hervor. Die Einzelseele ist grundsätzlich fähig, zum überindividuellen Nous aufzusteigen und sich ihm dabei so anzugleichen, dass sie ihn intuitiv erfassen kann.

    Bei den spätantiken Neuplatonikern Iamblichos, Syrianos und Proklos wird die Nous-Lehre ausgebaut und durch Untergliederung des Nous ausdifferenziert. Iamblichos führt innerhalb des Nous die Unterscheidung zwischen einer höherrangigen „intelligiblen Welt“ (kósmos noētós) und einer untergeordneten „intellektualen Welt“ (kósmos noerós) ein, wobei er beiden noch eine Binnenstruktur zuweist. Syrianos und Proklos ergänzen dieses zweistufige Modell um eine Zwischenstufe, die „intelligible und intellektuale Welt“. Für Proklos ist in der hierarchischen Stufenordnung jede Stufe das Erzeugnis des Denkakts der jeweils unmittelbar übergeordneten Stufe.

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