• Tao



    Das Herkommen sowohl der Lehrweisheit als auch des Begriffs ‘Dao’ verliert sich im Dunkeln. Die ursprüngliche Bedeutung, die von Konfuzius (* 551 † 479 v. Chr.) verwendet wurde, war ‘Weg’ bzw. ‘Weg der guten alten Könige’ oder auch ‘Weg zum ewigen Leben’, und deshalb wird die Lehre vom Dao auch dem legendären Gelben Kaiser Huang Ti (* 2704 † 2594 v. Chr.) zugeschrieben. Mit der Erweiterung des Begriffs wurde das Dao nicht nur zum Weg des Kosmos, sondern auch zum Urgrund von dessen Ursprung; dem Unerschaffenen, das alles erzeugt. Hören wir dazu Chiuang‑tzu: ‘Der Weg hat Eigenschaften und Evidenz, jedoch kein Handeln und keine Form. Er lässt sich übermitteln, aber nicht empfangen. Er existiert wahrlich in aller Ewigkeit von seiner Wurzel, seinem Stamm her, bevor Himmel oder Erde waren. Er haucht den Dämonen und Göttern den Geist ein, gebiert Himmel und Erde. [...] Er geht Himmel und Erde voraus und ist doch nicht alt, er ist älter als das älteste Altertum und doch nicht betagt.’1 Mit anderen Worten: Es ist die transzendentale ‘Erste Ursache’, die uranfängliche Einheit; unbeschreiblich, zeitlos und das alles durchdringende Prinzip des Kosmos. Und Lao‑tzu über das Dao: ‘Könnten wir weisen den Weg, es wäre kein ewiger Weg. Könnten wir nennen den Namen, es wäre kein ewiger Name. Was ohne Namen, ist Anfang von Himmel und Erde; was Namen hat, ist Mutter den zehntausend Wesen.’2
    Ich bin [...] Osiris. Ich bin aus dir hervorgegangen, Korn. Ich bin hineingegangen in dich, ich bin fettgeworden in dir, ich bin gewachsen in dir, ich bin in dich gefallen [...] so daß die Götter von mir leben. Ich lebe als Korn, ich wachse als Korn das die Ehrwürdigen einbringen, mich bedeckt Geb (der Erdgott). Ich lebe, ich sterbe, ich vergehe nicht.’3
    Gesprochen wurden die Worte von einem ägyptischen Toten und er gibt im Bild der Vegetation ein Überdauern des Lebensprozesses wieder, das jenseits der beiden Pole von Leben und Sterben angesiedelt ist, wobei das Korn als Symbol für eine psychische Struktur steht, die auf einen mystischen kontinuierlichen Prozess verweist. In der ägyptischen Anschauung verschmelzen der Ka (Schatten, Doppelkörper) und der Ba (geistige Individualität, Seele) des Toten zu einer Einheit und damit wird die Existenz im Jenseits zur Einswerdung mit der ihn umfassenden göttlichen Entität. Die duale Struktur des Kosmos prägt sowohl die Realität der Erscheinungen als auch die sie bedingende Vergangenheit, was in der ägyptischen Vorstellungswelt unmissverständlich zum Ausdruck gelangt.
    So lehrte der Gnostiker Simon Magnus4, der von Heraklit entscheidend beeinflusst war, dass der Kosmos aus Feuer bestehe, dessen eine Hälfte die sichtbare Welt, die andere, unsichtbare erzeuge. Letztere ist ein überhimmlisches Feuer, ‘das Schatzhaus aller wahrnehmbaren und unsichtbaren Dinge’. Der unsichtbare Teil des kosmischen Feuers besitzt Bewusstsein, während das sichtbare Feuer unbewusst ist. Mit anderen Worten: Die Information über den Prozess der Transformation, ist das Wissen (Bewusstsein) um die Realität des Seienden.
    Die Beispiele beweisen, dass der Homo sapiens seit der Frühzeit, hinter der materiellen Realität, der Welt der Erscheinungen, einen unsichtbaren Bereich am Wirken sah, den sie mit Gott, später mit Psyche oder Bewusstsein bezeichneten. Die sichtbare Realität bildet gleichsam die Oberfläche eines umfassenden Daseins, das den Homo sapiens als Teil der Schöpfung im Tode nicht dem Vergesessen anheimfallen lässt, sondern ihn - je nach Vorstellung - verwandelt. Ob der Verstorbene wie z. B. bei den Maya im Stamm selbst zur Wiedergeburt gelangt, um die Fruchtbarkeit von Pflanzen und Tieren zu garantieren, oder ob er in ein göttliches Jenseits, z. B. das Nirvana, eingeht, ist in Bezug auf die duale Struktur des Seienden ohne Belange. Von Bedeutung ist, dass bereits in der Frühzeit der Evolution des Homo sapiens, die Vorstellung existierte, das hinter den materiellen Erscheinungen, eine unsichtbare Realität verborgen ist.


    1 Zhuang, Zhou; Mair, Victor H.; Schuhmacher, Stephan (2008): Das Buch der Spontaneität. Über den Nutzen der Nutzlosigkeit und die Kultur der Langsamkeit : das klassische Buch daoistischer Weisheit. 1. Aufl. Aitrang: Windpferd (Schneelöwe). S. 95.
    2 Laozi; Debon, Günther (2001): Tao-tê-king. Das heilige Buch vom Weg und von der Tugend. Durchges. und verb. Ausg. 1979, [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, Nr. 6798). S. 25.
    3 G. Thausing, Der Auferstehungsgedanke in Ägyptischen religiösen Texten. Lpz., Harassowitz, 1943. 8, 188 S. Okt. - Slg. orientalist. Arbeiten, 16, S. 166.
    4 Simon Magus, † 65, Rom, gilt als erster Häretiker der Kirche.

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