Trickster

  • Trickster (engl. Gauner, Betrüger und Schwindler[1]) werden Figuren in der Mythologie oder Literatur genannt, die mit Hilfe von Tricks die Ordnung im (göttlichen) Universum durcheinanderbringen.

    Trickster (engl. Gauner, Betrüger und Schwindler[1]) werden Figuren in der Mythologie oder Literatur genannt, die mit Hilfe von Tricks die Ordnung im (göttlichen) Universum durcheinanderbringen.

    Die Figur des Tricksters handelt in der Mythologie meist aus moralischen Gründen – er fungiert oft als Kulturheros,[2] also jemand, der eine große Tat mit fundamentalen gesellschaftlichen Auswirkungen vollbringt, etwa indem er den Menschen den Ackerbau erklärt oder das Feuer bringt.

    Die typischen Trickster sind an ihrem zwiespältigen Charakter zu erkennen. Auf der einen Seite brechen sie die Regeln, um den Menschen Gutes zu tun, auf der anderen Seite jedoch auch, um Konflikte (meist zwischen den Göttern) zu provozieren.[3]

    Je nach Ursprungsmythologie werden sie als Tiergestalt, Halbgötter oder Geister beschrieben.



    Der Gott Loki ist ein durchtriebener Trickster in der nordischen Mythologie.volker-schopf.de/index.php?attachment/220/



    1 Etymologie

    Trickster ist abgeleitet vom englischen Wort trick, das wiederum aus dem Französischen stammt: Das Mundartwort trique steht für „Betrug, Kniff“. Das französische Verb tricherbedeutet „beim Spiel betrügen, mogeln“. Seinen Ursprung hat tricher im vulgärlateinischen Verb triccare.[4]

    Im 19. Jahrhundert griff Benjamin Disraeli das Wort auf, um einen politischen Opponenten als Lügner zu bezeichnen. Im 20. Jahrhundert hat sich Trickster zu einem Terminusentwickelt, der sowohl Gestalten der europäischen Literatur als auch außereuropäische ethnologische Phänomene beschreibt. Der Begriff bezeichnet eine göttliche oder mit übernatürlichen Eigenschaften ausgestattete Mythengestalt, die sich vor allem durch ihre Listigkeit, aber auch durch ihre Tölpelhaftigkeit auszeichnet; derartige Figuren haben sich weltweit in etlichen Formen ausgeprägt. Ins Deutsche wird der Begriff oft sinngemäß mit „Göttlicher Schelm“ übertragen. Die ethnologische Figur wurde erstmals 1868 von dem Mythensammler Daniel Garrison Brinton in seinem Buch Myths of a New World eingeführt.

    In der heutigen Alltagssprache wird oft nur die Bezeichnung Trickser (ohne „t“) verwendet – im Sinne einer „Person, die Tricks anwendet“.

    2 Rezeption

    Paul Radin, Karl Kerenyi und Carl Gustav Jung haben 1954 den Schelmen-Zyklus der Winnebago unter dem Titel Der göttliche Schelm veröffentlicht. Zum Schelm (und somit synonym zum Trickster) schreibt Radin in seinem Vorwort:[5]

    Zitat
    „Kaum ein Mythos hat eine so weltenweite Verbreitung, wie der unter dem Namen Der Schelm bekannte [...]. Von wenigen Mythen können wir so zuversichtlich behaupten, daß sie zu den ältesten Ausdrucksformen der Menschheit gehören, und nur wenige andere Mythen haben ihren ursprünglichen Inhalt derart unverändert bewahrt. Der Schelmen-Mythos besteht in klar erkennbarer Form sowohl bei den einfachsten Urvölkerschaften als bei den entwickelteren Völkern; wir finden ihn bei den alten Griechen, den Chinesen, den Japanern und in der semitischen Welt. Viele von den Schelmen-Zügen wiederholen sich in der Gestalt des mittelalterlichen Gauklers und leben weiter bis auf den heutigen Tag im Hanswurst des Kasperle-Theaters und im Clown. Obwohl immer wieder mit anderen Mythen kombiniert und öfters auf drastische Weise neu aufgebaut und neu dargestellt, scheint die Grundhandlung sich doch stets durchgesetzt zu haben.“

    C. G. Jung bezeichnete die Gestalt des Tricksters als "ein getreues Abbild eines noch in jeder Hinsicht undifferenzierten Bewußtseins, welches einer der tierischen Ebene noch kaum entwachsenen Psyche entspricht";[6] er stelle somit eine "kollektive Schattenfigur" dar.[7] Paradoxerweise ähnlich dem naiven "Dummling" im Märchen oft zum Heil führend,[8]sei er mythologisch gesehen auch "ein Vorläufer des Heilbringers"[9]:

    Zitat
    „Der Trickster ist ein "kosmisches" Urwesen göttlich-tierischer Natur, dem Menschen einerseits überlegen vermöge seiner übermenschlichen Eigenschaften, andererseits unterlegen vermöge seiner Unvernunft und Unbewußtheit. Auch dem Tiere ist er nicht gewachsen, wegen seiner bemerkenswerten Instinktlosigkeit und Ungeschicktheit. Diese Defekte kennzeichnen seine menschliche Natur, welche den Umweltbedingungen schlechter angepaßt ist als ein Tier, dafür aber die Anwartschaft auf eine viel höhere Bewußtseinsentwicklung, das heißt eine beträchtliche Lernbegierigkeit besitzt, welche auch durch den Mythos gebührend hervorgehoben wird.“[10]

    Marie-Louise von Franz hob die listig-demaskierende und damit letztlich hilfreiche Funktion des Tricksters in Märchen hervor.[11] Psychologisch gesehen agiere die Trickstergestalt oft als ein Verwirrung stiftender Spiegel eines ungut-tricksterhaft eingestellten Bewusstseins:[12] sodass der betrügerische Mensch sich am Ende selber betrogen sieht.

    So viele Bemühungen es auch geben mag, eine „Trickster-Kategorie“ zu erstellen, so widersprechen sie in ihrer Beschränktheit doch der Idee der Trickster-Figur an sich, wieWilliam J. Hynes treffend schildert:

    Zitat
    „Der schiere Reichtum an Tricksterphänomenen kann einen leicht dazu verführen, dass der Trickster undefinierbar sei. Zu definieren heisst Grenzen zu ziehen, und Trickster scheinen erstaunlich resistent zu sein gegen Eingrenzungen. Sie sind zwanghafte Grenzübertreter.“[13]

    3 Charakterisierung

    Ich bin der Geist der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles was entsteht / Ist werth daß es zu Grunde geht; / Drum besser wär’s daß nichts entstünde. / So ist denn alles was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element.Mephistopheles; Zitat aus: Johann Wolfgang von GoetheFaust. Eine Tragödie.

    Der Trickster ist eine stark ambivalente Figur. Er verkörpert das Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen. Er ist weder gut noch böse, er ist listenreich und zugleich ein Tölpel. In jeder Facette seines Wirkens wird er zu einem Repräsentanten der Vieldeutigkeit des Lebens. Nach William J. Hynes (1993) können sechs grundlegende Charakteristiken festgestellt werden, die bei vielen Tricksterfiguren vorkommen, wobei aber nicht alle Eigenschaften bei einer Ausprägung vorhanden sein müssen:

    1. Ambiguität (Zweiseitigkeit), Anomalie (Abweichung von der Norm) und Polyvalenz (Vieldeutigkeit) (siehe auch: Anpassungsfähigkeit)
    2. Betrüger und Falschspieler (Gaukler, Kartenspieler, Zauberer)
    3. Gestaltwandler, Meister der Verwandlung/Täuschung (Metamorphose)
    4. Umkehrer oder Veränderer einer Situation (Motivator, Revolutionär)
    5. Bote und/oder Imitator von Gottheiten
    6. „Bricoleur“ (franz. Bastler, Tüftler, Erfinder) – ein Terminus von Lévi-Strauss, s. a. Bricolage.

    Der Trickster wird auch als Pechvogel oder Betrogener dargestellt - zum Beispiel wird ihm in einer Geschichte der Streich eines Kolibris, der behauptet ihm das Fliegen beibringen zu können, zum tödlichen Verhängnis.

    Spannung kann der Trickster schwer ertragen. Er ist in jeder Beziehung gierig: nach Nahrung, nach Leben, nach Wissen und er besitzt eine enorme Libido. An die Ziele seiner Gier gelangt er meist durch Gewalt, List oder Betrug. So sind die Mythen des Tricksters nicht nur erheiternd, sondern können auch sehr brutal sein, wenn er zum Beispiel mordet, vergewaltigt, Kinder als Mahlzeit betrachtet oder experimentiert, ohne Rücksicht auf die Folgen.

    Zur Psychologie der Tricksterfigur schreibt C. G. Jung:

    Zitat
    „Wie Paul Radin darstellt, fängt der Zivilisationsprozeß schon innerhalb des Tricksterzyklus selber an, womit die Überwindung des ursprünglichen Zustandes deutlich angezeigt ist. Die Kennzeichen der tiefsten Unbewußtheit wenigstens fallen von ihm ab: statt brutal, grausam, dumm und sinnlos zu handeln, fängt der Trickster gegen den Schluß des Zyklus an, Nützliches und Sinnreiches zu tun. Damit verrät sich schon innerhalb des Mythos die Entwertung der früheren Unbewußtheit. Man fragt sich allerdings, was nunmehr mit den üblen Eigenschaften des Tricksters geschieht. Der naive Betrachter nimmt wohl an, daß, wenn die dunkeln Aspekte verschwinden, sie auch wirklich nicht mehr da sind. Das ist aber erfahrungsgemäß nicht der Fall. Was wirklich geschieht, ist, daß das Bewußtsein sich von der Faszination des Übels befreien kann und nicht mehr genötigt ist, es zwanghaft mitzuleben, aber das Dunkle und Böse ist nicht in Rauch aufgegangen, sondern hat sich infolge Energieverlust ins Unbewußte zurückgezogen, wo es unbewußt verweilt, solange im Bewußtsein alles wohlsteht.“[14]

    4 Der Trickster als Gestaltenwandler

    Oft wird der Trickster in Tiergestalt dargestellt (Hase, Spinne, Kojote, Wolf, Krähe, …). Er ist ein Meister der Verwandlung: Er kann das Aussehen aller erdenklichen Lebensformen annehmen und dabei sowohl in alter als auch in junger Gestalt auftreten.

    Da der Trickster auch sein Geschlecht umwandeln kann, ist ihm/ihr keine sexuelle Erfahrung fremd. Als Frau erlebt der in seiner Urgestalt männliche Trickster sogar Menstruation (Ture), Schwangerschaft und Geburt. So kann der Trickster auch für die Geburt der Helden verantwortlich sein. Ob er Leben gibt oder nimmt, entscheidet sich in der jeweiligen Situation.

    5 Kreativität und Neuerung

    Der Trickster ist als Kulturheros ein Stifter von Kultur und ein Medium kultureller Veränderung. Er sieht die Dinge aus einer anderen Perspektive und hat daher die Möglichkeit, sie kreativ umzudeuten. Das passt zu seiner Eigenschaft als einem professionellen Tabubrecher, der sich über alle Regeln der Gemeinschaft hinwegsetzt, dennoch aber Teil dieser Gemeinschaft bleibt. Der Preis für diesen Tabubruch ist aber meistens Isolation. Dennoch genießt der Trickster oft eine gewisse Immunität und kann sich der Höchststrafe entziehen. Auf seine Sexualität bezogen, bedeutet Tabubruch Inzest, Homosexualität (in vielen Kulturen eine geächtete Normverletzung) und Geschlechtswechsel (Transgender, ebenfalls in vielen Kulturen eine geächtete Normverletzung).

    Ein Beispiel für diese Eigenschaften sind im Winnebago-Zyklus zu finden: Wakdjunkaga will ein Eichhörnchen in einem hohlen Baumstamm mit seinem überlangen losen Penis (den er sonst in seinem Rucksack trägt) erschlagen. Immer tiefer lässt er den Penis in das Loch hinab, es gelingt ihm aber nicht, das Eichhörnchen zu töten, sodass er seinen Penis wieder hinauszieht. Dieser wurde aber vom Eichhörnchen in Stücke zernagt. Das ist der Grund, wieso der Penis heute kleiner ist. Aus den Stücken des Penis schuf der Trickster in seiner Schöpfungskraft verschiedene Gemüsesorten, die es vorher nicht gab (Radin/Kerényi/Jung 1954).

    6 Im Christentum

    Auffällig ist, dass gerade im Christentum die Einordnung des Tricksters zu einem Problem gerät. Hier ist er mit der Zeit auf seine rein negativen Eigenschaften beschränkt und zum Teufel gemacht worden. Laut Wolfgang Stein hat sich in vielen – vor allem osteuropäischen – Märchen die Gestalt des Tricksters wahrscheinlich in der Gestalt des „geprellten Teufels“ erhalten. Auf der einen Seite sind seine schöpferischen Taten aus der Sicht der Menschen nur noch negativ, werden meistens nicht einmal erwähnt oder fordern einen hohen Preis. Auf der anderen Seite finden sich Trickster-Elemente auch in anderen Archetypen wieder, darunter Magier, Ritter, König und Herold.


    7 Einzelnachweise

    1. Hochspringen↑ Langenscheidts Handwörterbuch
    2. Hochspringen↑ Nana Oforiatta-Ayim: Helden, Sagen und Symbole, Knesebeck-Verlag
    3. Hochspringen↑ Rebecca Mak: Mythen der Welt, Knesebeck-Verlag
    4. Hochspringen↑ Duden: Das Herkunftswörterbuch, Lemma Trick.
    5. Hochspringen↑ Paul Radin, Karl Kerényi u. C.G. Jung: Der göttliche Schelm. Ein indianischer Mythen-Zyklus. Rhein-Verlag, Zürich 1954, S. 7.
    6. Hochspringen↑ C. G. Jung: "Zur Psychologie der Tricksterfigur", GW 9/1: §465
    7. Hochspringen↑ ebd.: §484
    8. Hochspringen↑ ebd.: §456
    9. Hochspringen↑ ebd.: §472
    10. Hochspringen↑ C. G. Jung: Archetypen, S. 168. 16. Auflage. DTV Verlag. 2010 ISBN 978-3-423-35175-1 - Dasselbe in GW 9/1, §456-488: "Zur Psychologie der Tricksterfigur", Zitat § 473.
    11. Hochspringen↑ Marie-Louise von Franz (1985): Der Schatten und das Böse im Märchen, Kösel-Verlag, München, ISBN 3-466-34107-8 , S. 28.
    12. Hochspringen↑ Ebd.: S. 274
    13. Hochspringen↑ William J. Hynes, "Mapping the Characteristics of Mthic Tricksters: A Heuristic Guide", S. 33–45 in: William J. Hynes/William G. Doty, "Mythical Trickster Figures: Contours, Contexts, and Criticisms", Tuscaloosa (University of Alabama Press) 1993, S. 33.
    14. Hochspringen↑ Jung 2010, S. 170

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