Über die Zyklen des Kosmos

  • 'Meister', fragte ein Schüler. 'Was setzte die Zyklen des Kosmos in Bewegung?'


    'Danach', antwortete Tathagata, 'frage nicht. Denn es gibt weder ein 'Davor' noch ein 'Danach'. Nur den Kreislauf der Zyklen des Kosmos.


    Eins ist der Kosmos.


    'Meister', wollte ein anderer Schüler wissen. 'Spracht Ihr nicht selbst von den zwei Seiten des Seins?'


    'So wie eine Medaille zwei Seiten besitzt, ein Teppich aus zwei Fäden gewoben wird, so besitzt auch der Kosmos zwei Seiten, eine sichtbare und eine unsichtbare. Die, welche der Mensch mit seinen Sinnen wahrnehmen kann, bezeichnen wir als die materielle Realität und die, welche nicht wahrnehmbar ist, das Seinsfeld.'


    'Ihr aber, verehrter Tathagata, seid dort ebenso zu Hause wie jetzt hier an diesem Ort.'


    'Ja. Wer die Wahrheit erkannt hat, dem offenbart sich die Schönheit des Kosmos. Nichts bleibt ihm verborgen.'



    Von der Wahrheit.


    Die Wahrheit gleicht der Sonne. So wie unser Körper ihre Wärme fühlt, so fühlt der Geist das Seinsfeld und wie jedes Lichtteil ein Stück Dunkelheit erhellt, so offenbart das Seinsfeld dem Geist eine Facette der Wahrheit.


    Als Tathagata die Fragen seiner Schüler fühlte, fuhr er fort und sprach:


    Die Sonne ist wie ein Meer, das an zahlreiche Länder grenzt. Die Einen nennen es Meer, andere ocean und wiederum andere mare oder ج: بحار und doch bezeichnen sie das gleiche Meer. Ebenso ist es mit der Wahrheit. Wie ein Lichtteil der Sonne nur einen begrenzten Raum erhellen kann, ein Tropfen nur wenig den Durst zu löschen vermag, so erkennt der Mensch nur eine Facette der Wahrheit.


    Gleichzeitig erhoben mehrere Schüler folgenden Einwand: 'Was nutzt uns ein Splitter der Wahrheit?'


    Tathagata sah, was seine Schüler bewegte und sprach:


    'Der Erleuchtete, welchem die Wahrheit offenbar wurde, genügt ein Lichtteil um sie zu schauen, so wie ein Tropfen seinen brennenden Durst löscht. So höret jetzt, was die Wahrheit ist: Einfach ist die Wahrheit. Ewig, keinem Wandel unterworfen.'



    'Aber was ist die Wahrheit, verehrter Tathagata?'


    'Der Kosmos', antwortete Tathagata, 'ist wie der Mensch, der geboren wird, altert und stirbt. Sein Äußeres wandelt sich, sein Fleisch stirbt und wird neugeboren, doch der Mensch bleibt derselbe. Der Mensch lernt das Dasein kennen, strebt nach Erkenntnis, zeugt Kinder und gibt sein Wissen an sie weiter. Das ist der Kreislauf des Menschen; fortschreitend in seiner Entwicklung, vom Niederen zum Höheren strebend.


    Der Kosmos wird geboren, altert und wird im Prozess der Erneuerung wiedergeboren. Und wie der Mensch in seinen Kindern fortlebt, sein Wissen in Büchern und mündlicher Überlieferung, so der Kosmos im folgenden Zyklus. Das ist der Kreislauf des Kosmos; Wandlung, vom Einfachen zum Komplexen strebend.'



    'Wahrlich, einfach ist die Wahrheit, verehrter Tathagata und zugleich verschlossen wie der Mund eines Mannes, der um ein Geheimnis weiß.'


    'Er hat wahr gesprochen', sagte ein anderer Schüler. 'Ein Mirakel scheint mir die Wahrheit.'


    Tathagata hob die Hand und mahnte zur Ruhe.


    'Höret!', sagte Tathagata. 'Einfach ist die Wahrheit, sagte ich, strahlend wie die Sonne und ihre Strahlkraft ist so mächtig, dass der Mensch sie nur zum Teil mit beschatteten Augen ertragen kann. Ebenso verhält es sich mit der Wahrheit und weil der Mensch nur einen Lichtstrahl in seinen Geist aufnehmen kann, so hält er diesen für die Wahrheit. Das ist der Grund für die Fülle der Wahrheiten.'


    'Dann verkündet jede Religion die Wahrheit?', flüsterte ein Schüler tief in Gedanken versunken. 'Obwohl sie keine gemeinsame Sprache besitzen, ja sich Widersprechendes lehren.'


    'Höret! Nur ein Trugbild ist der Widerspruch, wie die Fata Morgana in der flirrenden Wüstensonne. Nur der Unwissende sieht in ihr die Rettung seiner Leiden, geht in ihre Richtung und damit in sein Verderben. Der Weise aber, der die Wahrheit kennt, sieht in ihr das Abbild einer fernen Wirklichkeit und setzt seinen eingeschlagenen Weg fort und gelangt sicher an sein Ziel. Die Wahrheit sagt: Der Weg ist von Bedeutung und nicht das Ziel, weil es kein Ziel gibt. Ob der Mensch den irdischen Verlockungen erliegt und dabei zugrunde geht, ob er getreu seiner Religion, seinem Glauben, der Sprache seines Herzens den Weg seines Lebens bestreitet, stets folgt er damit dem Pfad der Wahrheit.'



    'Aber was ist mit jenen, die den Weg des Bösen einschlagen; die schlechte Taten begehen, die die Unwahrheit sprechen und selbst vor dem Verwerflichsten keine Abscheu hegen und töten, um des Vorteils wegen? Wandeln auch sie auf dem Pfad der Wahrheit?'


    'Ja.'



    Lautes Gemurmel erhob sich unter den Schülern.


    Über das kosmische Karma.


    'Höret! Nichts existiert für sich allein. Wäre dies möglich, so müssten wir es uns abgenabelt vom Kosmos vorstellen und das ist unmöglich. Und ein Weiteres tritt hierzu, wir wüssten nichts von ihm, weil es ohne Wirkung auf den Kosmos ist. Alles im Kosmos unterliegt dem Prozess von Ursache und Wirkung, so wie der Mensch, allein durch sein Dasein, Ursache von Wirkungen ist und selbst Wirkungen unterliegt, deren Ursachen er oft nicht kennt, die ihn wandeln und zum Verursacher neuer Wirkungen werden lassen.


    Ebenso beeinflussen die zwei Seiten des Kosmos einander, die sichtbare und die unsichtbare Seite, jene die wir die materielle Realität genannt haben und jene des Seinsfeldes, die Eins sind.


    Die ist das Gewebe des Kosmos und gemeinsam erschaffen sie, was ich das 'Kosmische Karma' nenne, welches die Entwicklung des Kosmos bewahrt und wie die Eltern bei der Zeugung ihre Gene an die Kinder übertragen, so prägt der Kosmos den nachfolgenden Zyklus,


    Das, welches gemeinhin als menschliches Karma bezeichnet wird, nenne ich 'Lebensfeld' des Menschen und wie das 'Kosmische Karma' ist es Ursache von Wirkungen und wird von anderen Ursachen bewirkt. Jedes Lebensfeld ist Teil des 'Kosmischen Karma', beeinflusst dessen Entwicklung über den irdischen Tod des Menschen hinaus, der sterblich ist wie alles in der materiellen Realität.'



    Wieder tuschelten die Schüler untereinander. 'Verehrter Tathagata', sprach einer der erfahrendsten Schüler, 'bestimmt dann das Lebensfeld über die Wiedergeburt? Und wenn es nach dem Tod Wirkungen ausgesetzt ist, beeinflusst das den Kreislauf der Wiedergeburten?'


    'Nur ein Leben besitzt der Mensch und weil sein Körper der materiellen Realität angehört, ist er dem Untergang geweiht. Sein Lebensfeld, das alle seine Handlungen, Erfahrungen und Gedanken umfasst, stellt den den unvergänglichen Teil des Menschen dar, weil es dem Seinsfeld angehört. Als Seele bezeichnen es die Einen, als Funke Gottes die Anderen und wieder Andere sagen, das es das Karma des Menschen ist.


    Ich habe euch gelehrt, das die Wahrheit einfach ist und das sie wie die Sonne im Lichte der Wahrnehmung durch den Menschen funkelt. Jede Facette ihres Glanzes verkündet einen Aspekt der Wahrheit und nur die Begrenztheit des menschlichen Geistes verhindert die vollständige Erkenntnis, so dass der Mensch den Teilaspekt für die umfassende Wahrheit erachtet.'


    Vielerlei Wahrheit.


    'Vielerlei Arten der Wahrheit gibt es, meine Schüler. So lebte einst ein Mann am Rande seines Dorfes, nahe eines Waldes und als es Abend wurde, fröstelte der Mann und sprach: 'Kühl wird es heute Nacht werden. Da ist es wohl besser, wenn ich ein Feuer entzünde.' Bevor die Sonne unterging, sammelte er Reisig, legte darauf ein paar dickere Äste und entzündete das Feuer. Bald loderte es, angefacht durch den Abendwind, prasselnd auf. Hoch schlugen die Flammen, tänzelten in der Luft und Funken stoben mit dem Wind davon. Eine Frau sah die Funken und rief: 'Feuer! Ein Haus brennt!' Sie stürzte davon und schlug Alarm. Ein Wanderer der zufällig des Weges kam, dachte bei sich: 'Funken im Wald bedeuten nichts gutes. Ich sollte zusehen, dass ich das Dorf erreiche, ehe das Feuer mich umschließt.' Ein Junge im Dorf, versuchte die Funken zu erhaschen und rief übermütig: 'Der Ofen brennt! Heute gibt es ein leckeres Mahl.'


    Das Feuer symbolisiert die Wahrheit, die Funken die Facetten ihres Glanzes und die Menschen für die vielerlei Wahrheiten. So sieht der Mensch den Funken, erkennt darin eine Facette der Wahrheit und hält diese für die umfassende Wahrheit.'



    'Wie aber erkennt der Mensch richtig?'


    'Jedes Ding im Kosmos trägt die Wahrheit in sich. Betrachte aufmerksam, versenke deinen Geist in die Dinge der Welt, bis du sie in ihrer Reinheit erkennst. Reinheit bedeutet, gereinigt von ihren individuellen Eigenschaften und befreit von den Empfindungen und Gedanken des Betrachtenden. Gelingt es dem Menschen, den Kosmos derart wahrzunehmen, so offenbart sich ihm die ganze Wahrheit.'


    'Sagt man nicht, dass der Mensch ein Kosmos sei? So betrachte den Menschen und erkenne den Kosmos, seine Schönheit und die ihm zugrunde liegende Wahrheit. Es ist nichts im Kosmos, was nicht auch im Menschen, einem Baum oder einem Stein zu finden wäre.


    Hört man nicht oft Menschen zu den Eltern sagen, dass ihr Kind ihnen gleiche, ja wie ein Spiegel sei? Ebenso gleicht der Mensch dem Kosmos und deshalb ist es einerlei, ob der Suchende den Kosmos betrachtet, seine Gedanken in sich selbst versenkt oder einen anderen Gegenstandzur Meditation benutzt. Alles im Kosmos trägt die Wahrheit in sich.'


    'Doch welches ist die Wahrheit?'


    Die Zyklen des Kosmos sind ewig. Deshalb frage weder nach dem Beweggrund ihres Seins, noch dem ihm innewohnenden Sinn. Der Kosmos ist ohne Anfang und Ende, Beweger seiner selbst und menschliche Begriffe sind ihm fremd. Ist ein Stein gut oder böse? Ist er gut, wenn er Teil eines Hauses ist oder böse, wenn mit ihm ein Mensch erschlagen wird? Und was ist mit einem Stein, der aus dem Felsen bricht und ein Kind erschlägt? Ist er böse, weil er einen Menschen getötet hat oder gut, weil er ihn womöglich vor Qualen bewahrt hat? Ein Stein kann vielerlei Verwendung finden, dem Guten wie dem Bösen dienen, dennoch ist er stets derselbe Stein. Folglich ist er beides oder nichts davon.


    Ebenso ist es mit dem Kosmos. Gut oder böse, schön oder hässlich, groß oder klein, das alles bedeutet ihm nichts. Wir nennen ein Buch langweilig, wenn uns die Geschichte nicht gefällt und gut, wenn sie uns Vergnügen bereitet. Welchen Anteil besitzt nun das Papier auf dem die Geschichte geschrieben steht? Ist es nicht jenseits von langweilig und vergnüglich, gut oder böse, von Eigenschaften überhaupt? Träger von Symbolen? Und erzeugen nicht erst die Symbole – Schriftzeichen, je nach Anordnung diese oder jene Geschichte? Und so wie Papier und Symbol unerschöpflich in ihrem Reichtum an Geschichten sind, so auch die die beiden Seiten des Kosmos, die materielle und die spirituelle, die sichtbare Realität und das Seinsfeld und das 'Kosmische Karma' ist ihre Geschichte.


    Einheit bedeutet Zweiheit, denn das Eine ist nichts ohne das Andere. So ist die Zweiheit das Eine. Der Kosmos ist das Eine und seine Zweiheit in Wahrheit Einheit. Nur der menschliche Geist löst diese Einheit zur Zweiheit auf; trennt das Sichtbare vom Unsichtbaren, die Materie vom Geistigen, die Ursache von der Wirkung. Einheit wird Zweiheit, sichtbare Realität und Seinsfeld, Wirkendes und Bewirktes und betrachten wir die aus der Einheit entstandene Zweiheit jede für sich, als existiere nur die gerade von uns Betrachtete, gleichsam als Einheit, so sehen wir nicht Einheit sondern Zweiheit.'


    'Verehrter Tathagata, lehre uns den richtigen Pfad des Sehens, damit wir die Wahrheit erkennen.'


    Vom Sehen der Wahrheit


    'Höret! Was seht ihr, wenn ihr bei Dunkelheit in den Himmel blickt?'


    'Den Sternenhimmel', antworteten einige der Schüler im Chor.


    'Wahr gesprochen. Übersät ist der Nachthimmel an klaren Tagen mit Sternen und wie wir heute wissen, ist das Licht Gesetzen unterworfen und weil es Zeit benötigt, um zur Erde zu gelangen, sehen wir die Pracht des Sternenhimmels wie er vor vielen Jahren war. Je tiefer wir in den Kosmos hinaus blicken, umso weiter dringen wir in seine Geschichte vor. Wir sehen, wie er vor Milliarden von Jahren ausgesehen hat, dass sich sein Zustand wandelt, er Entwicklungen unterworfen ist. Könnten wir bis zum Beginn des jetzigen Zyklus sehen, und wäre uns das allumfassende Sehen gegeben, so präsentierte der Kosmos sich uns als Einheit. Der menschliche Geist sieht nur die materielle Seite, während ihm das Seinsfeld verborgen bleibt. Er fühlt schmerzvoll die entstandene Leere, er sucht und forscht und von Zeit zu Zeit erblickt er einen Funken der Erkenntnis, gewährt ihm der Kosmos einen flüchtigen Einblick in sein Innerstes.


    Einheit. Wirkendes und Bewirktes, Vergängliches und Ewiges, die Zweiheit der Einheit. Urgrund nennen es die Einen, Gott die Anderen und noch viele Namen besitzt der Kosmos als er Einheit war und noch nicht Vielheit.'


    'Aber, verehrter Tathagata, weshalb wurde aus der Zweiheit der Einheit Vielheit?'


    'Weil jedes Ding das existiert aus dem Kosmos hervorging und damit seine Wahrheit in sich trägt, so erkennen wir die Antwort auf diese Frage, indem wir die Natur betrachten. Die Zweiheit als Einheit; Wirkendes und Bewirktes ist der Grund für die Vielheit. Wäre die Einheit nicht Zweiheit, so wäre heute anstatt Vielheit noch immer Einheit. Bloße Einheit ist wie ein einzelner Lichtstrahl im Nichts. Weder bewirkt er etwas, noch wird er selbst bewirkt. Er ist und ist nicht. Deshalb ist Einheit Zweiheit, Wirkendes und Bewirktes und so entsteht aus der Einheit, von Zyklus zu Zyklus des Kosmos, eine beständig anwachsende Vielheit.


    Die Zweiheit der Einheit, wirkt und wird selbst bewirkt. Dadurch wird das Bewirkte verändert und weil es nun ein Anderes ist, ist auch seine Wirkung eine Andere und so entsteht wiederum ein Anderes und wir nennen den Prozess von Wirkendem und Bewirktem im Kleinen Wandel und im Großen auf den Kosmos gewandt Entwicklung.'

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