Das Wesen des Kosmos I

  • Das Wesen des Kosmos I



    Nachfolgender Text beeinhaltet den ersten Teil des in der 1. Auflage veröffentlichten Version. In der aktuellen, zweiten, wesentlich erweiterten 2. Auflage wurde er in großen Teilen überarbeitet. Die Urfassung soll ein weiteres Mal meine spirituelle Entwicklung aufzeigen; ein Prozess der fortbesteht und das Unbeschreibliche in Worte zu fassen versucht.

    Das Wesen des Kosmos I
    ’Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war noch leer und öde. Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser, und über den Fluten schwebte Gottes Geist. Da sprach Gott: ‘Licht entstehe!’, und das Licht strahlte auf. Und Gott sah das Licht an: Es war gut. Dann trennte Gott das Licht von der Dunkelheit und nannte das Licht Tag, die Dunkelheit Nacht. Es wurde Abend und wieder Morgen: der erste Tag.’
    Mit diesen Worten wird in der Genesis die Erschaffung der Erde beschrieben, genauer gesagt: Der erste Schöpfungstag. Ein weiteres Zitat will ich diesem Kapitel voranstellen:
    ‘Die Vernunft wird durch einen Hang ihrer Natur getrieben, über den Erfahrungsgebrauch hinaus zu gehen, sich in einem reinen Gebrauche und vermittelst bloßer Ideen zu den äußersten Grenzen aller Erkenntnis hinaus zu wagen und nur allererst in der Vollendung ihres Kreises, in einem für sich bestehenden systematischen Ganzen, Ruhe zu finden.’
    Das schrieb Immanuel Kant in seiner Schrift ‘Kritik der reinen Vernunft’, und bringt mit dieser Erkenntnis die Eigenschaft der Vernunft zum Ausdruck, der wir unsere schönsten und bedeutendsten Schriftzeugnisse verdanken. Erinnern wir uns nur der vielfältigen Schöpfungsmythen, deren mündliche Überlieferung vor Tausenden von Jahren erstmals in Keilschrift auf Tontafeln niedergeschrieben wurden. Ihre schöpferische Kraft fand Eingang in die Verkündungen der Propheten, der Philosophie der Antike, und spannt von dort ihren Bogen bis in die Neuzeit, zu den modernen Theorien der Kosmologie, Physik, Neurowissenschaften, um nur einige zu erwähnen. Nicht vergessen werden darf der Einfluss der Vernunft auf die Kunst, in deren Ausdruck und Deutung die ganze spekulative, sich selbst erkundende und übersteigende Eigenschaft ihres Wesens unmittelbar in Erscheinung tritt.
    Weshalb gerade die zwei Zitate am Anfang dieser Schrift stehen, hat folgenden Grund: Sie stehen synonym für den Beginn von Pfaden, die sich schnell verzweigen und bereits nach wenigen Schritten ein vielfältiges Geflecht bilden, dessen mögliche Wege oder Kombinationen unerschöpflich scheinen. Der erste Schöpfungstag symbolisiert den Kosmos, sein Wesen und dessen Entwicklung, die uns zu Immanuel Kant, dem Menschen und der Suche nach den Gründen seines Daseins führt. Beide Pfade – Kosmos und Mensch – sind so miteinander verknüpft, dass sie nicht getrennt analysiert werden können. Zum einen ist der Mensch Ausgangspunkt jeder Betrachtung, der Fragende und unter der Knechtschaft der Vernunft ein ruhelos Getriebener; im Gepäck das entscheidende Wort: ‘Warum?’ Diese Frage treibt ihn um und fort von sich selbst. Der Mensch wird zum Rufer in der Dunkelheit, den niemand hört, am wenigsten er sich selbst. Wahrheitssuchende sind Gefährdete, oft Verlorene, wie nicht nur Friedrich Nietzsche beweist. Sie wandeln am Abgrund, zwischen Erkenntnis und der inneren Ruhe, die der gefundenen Wahrheit entspringt, und dem ewig Fragenden, dessen vergebliche Suche sein Dasein zusehends beschleunigt, ihn bis zur rastlosen Hetze nach der Erlösung treibt, die stets in greifbarer Nähe scheint und ihm statt Wissen den Tod beschert.
    Wir werden – der Not gehorchend – zwei Pfade beschreiten: den des Kosmos und den des Menschen. Dabei werden wir erkennen, dass der Mensch nicht nur Teilhabe am Kosmos hat, sondern dass er, wie jede Entität zu der Mannigfaltigkeit (z. B.: der Mensch zur Gattung Menschheit), der sie angehört, ‘Eins’ und ‘Nicht-Eins’ ist. Eins, weil nur der Kosmos in seiner Mannigfaltigkeit existiert, und Nicht-Eins, aufgrund seines Abgegrenztseins als Entität oder ‘Ich bin’. Doch was ist dieses ‘Eins’ und in welchem Verhältnis steht das ‘Nicht-Eins’ zu ihm? Diesen Fragen werden wir in dieser Schrift nachgehen und die Antworten werden dem Leser zugleich neu und vertraut erscheinen.
    Beginnen wir mit Immanuel Kants Aussage über die Eigenschaft der Vernunft, welche sie über den Erfahrungsbereich hinaus streben lässt, und setzen ihr eine Grenze:
    § 1:- Am Anfang ist der Kosmos.
    Die Frage nach dem Grund ihres Daseins ist der Vernunft durch ihr Wesen gegeben. Sie kann darüber jedoch nur Spekulationen anstellen, weil die Antwort außerhalb des Bereichs liegt, der ihrer Erkenntnis zugänglich ist. Verdeutlichen wir uns das Gesagte an einem Beispiel: Für das individuelle Erleben des Menschen, welches ihm als Erinnerung überhaupt zur Verfügung stehen kann, ist der Zeugungsvorgang seines Organismus die Grenze. Darüber hinaus existiert keine individuelle Erfahrung. Paragraf eins markiert diese Grenze in Bezug auf den Ursprung des Kosmos. Die Weltformel, nach der Physiker und Kosmologen forschen, wird dem wahren Wesen des Kosmos lediglich eine weitere Beschreibung hinzufügen. Über die Grenze seiner Selbst wird die Theorie für alles nicht führen.
    § 2:- Die Einheit des Kosmos ist Zweiheit.
    Die Einheit des Kosmos erscheint dem Menschen aufgrund der Begrenztheit seiner Wahrnehmung als materielle und spirituelle Realität – für diese Schrift als ‘Ich bin’ bezeichnet. Das Wesen des Kosmos, der Einheit als Zweiheit, entzieht sich der Erkenntnis des ‘Ich bin’ zum Zeitpunkt des Jetzt, der aktuellen Gegenwart.
    Der Begriff ‘Einheit als Zweiheit’, wäre missverständlich, wenn man ihn als Dualismus des Kosmos interpretierte, der in der Mannigfaltigkeit als Ausdruck seines Wesens weder dualistisch ist noch umfassend einer anderen Lesart zugeordnet werden kann. Betrachten wir dazu eine Münze, dann entsprechen materielle und spirituelle Realität jeweils einer Seite, wobei die zwei Seiten – Kopf und Zahl – als Zweiheit die Einheit der Münze bilden. Der Einwand, dass jede Seite für sich als Einheit betrachtet werden kann und der Kosmos deshalb nicht Einheit einer Zweiheit, sondern bereits ein Zusammengesetztes ist, liegt in der begrenzten Wahrnehmung des ‘Ich bin’ begründet, dem die Einheit des Kosmos stets als Zweiheit erscheint. Der Leser, welcher auf der Münze das ‘Ich bin’ verorten will, sollte ein beliebiges Atom auf der materiellen, nahe der spirituellen, Seite dazu bestimmen.
    § 3:- Die Einheit der Zweiheit des Kosmos bedingt Mannigfaltigkeit.
    Paragraf drei bedeutet einen Quantensprung und wird durch die zwei nachfolgenden Paragrafen begründet. Weshalb bedingt die Einheit des Kosmos als Zweiheit die ihm innewohnende Mannigfaltigkeit? Die Frage ist berechtigt und wurde in der Vergangenheit auf vielfältige Weise und stets im Einklang mit der Wahrnehmung erklärt bzw. begründet. In diesem Zusammenhang weise ich nur auf die Diskussion über den ‘Satz vom zureichenden Grund’ hin, der in unterschiedliche Erklärungsmodelle mündet. Deshalb sei an dieser Stelle letztmalig betont, dass für das ‘Ich bin’ in Bezug auf die Wahrnehmung der Realität, und infolge davon für das Wissen, Grenzen existieren. Dazu gehört die Frage nach dem Ursprung des Kosmos und – auf das ‘Jetzt’ bezogen – Fragen über die Vergangenheit, die sein Dasein explizit bedingte. Wie das ‘Ich bin’ im Jetzt seine Vergangenheit interpretiert, ist Ausdruck eben dieser individuell strukturierten Vergangenheit. Dazu im Folgenden mehr.
    Trotzdem wird kein ‘Ich bin’ bestreiten, dass im Kosmos Mannigfaltigkeit und ein Vorausgegangenes existiert, das sie bedingte. Die Vergangenheit ist für das ‘Ich bin’ individuell und kann über die oben bezeichnete Grenze hinaus nicht erweitert werden. Ob die Frage nach dem Ursprung des Kosmos grundsätzlich außerhalb seiner selbst liegt oder im Bereich des Wahrnehmbaren und damit der Erkenntnis zugänglich ist, bleibt dem Wissen eines späteren Jetzt vorbehalten.
    Kehren wir zu unserer Frage zurück: Weshalb bedingt die Einheit des Kosmos als Zweiheit Mannigfaltigkeit? Zuerst die angesprochenen Paragrafen.
    § 4:- Wirken bewirkt Wandel und bedingt ein Gewandeltes.
    § 5:- Das Gewandelte ist die Einheit von Bewirkt-Werden und der sie bedingenden Vergangenheit.
    Dazu ergänzend: Der Begriff ‘Wandel’ bezieht sich auf eine Zustandsveränderung. Und: Die ursprünglichen Entitäten (Vergangenheit der bewirkten Entität und der Entität, die den Wandel bewirkte), die sich infolge des Bewirkt-Werdens wandeln, bleiben im Gewandelten, der neu gebildeten Einheit, als Vergangenheit erhalten. Das Gewandelte, als neu gebildete Einheit, wirkt als Entität auf das Andere.
    Eine bloße Entität bewirkt nichts. Der Grund: Es gibt kein Anderes, auf das die Entität wirken kann. Wirken ist stets auf ein Anderes bezogen. Das Andere erfährt das Wirken als Bewirkt-Werden, wandelt sich aufgrund des erfahrenen Wirkens und wirkt als Gewandeltes auf das Andere mit gewandeltem Wirken. Frühere Einheit bleibt als Vergangenheit erhalten, die wirken und bewirkt werden kann. Durch diesen Kreislauf bedingt der Kosmos als ‘Einheit der Zweiheit’ Mannigfaltigkeit.
    Damit ist das Grundlegende über das Wesen des Kosmos gesagt. Die Folgerungen, die sich für das ‘Ich bin’ – den Menschen – wie für das Wesen des Kosmos daraus ergeben, kann in dieser Schrift nur in Bezug auf den Kosmos erörtert werden. Bevor wir uns ausführlicher mit dem Wesen des Kosmos, seiner Entwicklung als Mannigfaltigkeit auseinandersetzen, zwei Beispiele zum Verständnis des Wesens von Mannigfaltigkeit.

    • A: a wirkt auf b, das sich zu c wandelt und als c im Besitz der Vergangenheit von a und b ist; jetzt wirkt c auf a, das sich zu d wandelt und als d im Besitz der Vergangenheit von a und c ist. Wirkt nun a auf d und wandelt es zu e, dann besitzt e als Vergangenheit a, a, b, c usw. Die Mannigfaltigkeit ist vorprogrammiert.


    • B: Der indische Herrscher Shihram tyrannisierte seine Untertanen und stürzte sein Land in Not und Elend. Um die Aufmerksamkeit des Königs auf seine Fehler zu lenken, ohne seinen Zorn zu entfachen, schuf Dahers Sohn, der weise Brahmane Sissa, ein Spiel, in dem der König als wichtigste Figur ohne Hilfe anderer Figuren und Bauern nichts ausrichten kann. Der Unterricht im Schachspiel machte auf Shihram einen starken Eindruck. Er wurde milder und ließ das Schachspiel verbreiten, damit alle davon Kenntnis nähmen. Um sich für die anschauliche Lehre von Lebensweisheit und zugleich Unterhaltung zu bedanken, gewährte er dem Brahmanen einen freien Wunsch. Dieser wünschte sich Weizenkörner: Auf das erste Feld eines Schachbretts wollte er ein Korn, auf das zweite Feld die doppelte Menge, also zwei, auf das Dritte wiederum doppelt so viele, also vier, und so weiter. Der König lachte und war gleichzeitig erbost über die vermeintliche Bescheidenheit des Brahmanen.

    Als sich Shihram einige Tage später erkundigte, ob Sissa seine Belohnung in Empfang genommen habe, musste er hören, dass die Rechenmeister die Menge der Weizenkörner noch nicht berechnet hätten. Der Vorsteher der Kornkammer meldete nach mehreren Tagen ununterbrochener Arbeit, dass er diese Menge Getreidekörner im ganzen Reich nicht aufbringen könne. Auf allen Feldern zusammen wären es 264−1 oder 18.446.744.073.709.551.615 Weizenkörner. Diese Legende verdeutlicht auf anschauliche Weise, wie der Kreislauf von Bewirkt-Werden, Wandel und Gewandeltem, als aus diesem Kreislauf resultierende Einheit, die zur Entwicklung des Gewandelten als Entität führt, unter Erhalt der ursprünglichen Entitäten bzw. deren Vergangenheit, Mannigfaltigkeit erzeugt.
    Fortsetzung folgt.

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