Über Moral

Auszug aus 'Über den Kosmos III' von Volker Schopf.


Anthropologisch betrachtet besteht die Moral aus drei Kategorien: dem Sollen, dem Bedürfnis und dem Sein. Der Leib des Homo sapiens unterliegt Bedürfnissen, er muss z. B. Nahrung zu sich nehmen, dazu musste er die Wälder durchstreifen oder Tiere jagen und war nicht nur deswegen ein gefährdetes Lebewesen. Die Bedrohung vonseiten der Natur bzw. ihm feindlich gesonnener Artgenossen ließ sich verringern, indem der Einzelne sich in Gruppen, größeren Stämmen, organisierte, wenn diese, durch verbindliche Verhaltensmaßregeln, seine Existenz nicht nur gewährleisteten, sondern verbesserten. Das Positive des Stammes äußerte sich in einem Gutsein innerhalb der Gemeinschaft, einem So-sein-wollen gegenüber dem Anderen.

Die Moral tritt dem Homo sapiens nicht nur als von der Vernunft begründetes Sollen, einem Imperativ, entgegen, es liegt ihr ein sie bedingender Imperativ zugrunde, die Ur-Prämisse, wie sie im Fundamas angelegt ist, als Information über den Prozess der Transformation, oder: die Erhaltung des Seins im Dasein. Darauf fußt, wie ich zeigen werde, jede Vorstellung von Moral. Zugleich fordert sie, dass der Homo sapiens von einem zu moralischem Tun fähigen Lebewesen zu einem aktualen Moralwesen evolviert bzw. sein von der Natur bedingtes moralisches Sollen, in Bezug auf sein Tun, in ein Wollen überführt. Letzteres bedarf jedoch eines Willens des Homo sapiens, denn nur ein Wille kann Wollen. Die Aussage: ‘Ich will’ eines Homo sapiens impliziert noch keinen freien Willen des ‘wollenden’ Individuums. Folglich sagt das Tun des Homo sapiens nichts über die sein Tun konstituierenden Strukturen aus. Welche Aspekte (Beweggründe, Motivationen, Gesetzmäßigkeiten etc.) dafür letztlich verantwortlich zeichnen, wird von seiner Vergangenheit geprägt. Der Homo sapiens wird, das beweist die moderne Anthropologie, von seiner biologischen Natur angetrieben und entwickelt sich sowohl zu einem Individuum als auch einem Lebewesen, das unterschiedliche Kulturen hervorbringt. Die natürliche Existenz des Homo sapiens ist zwar kulturell geprägt, jedoch ist er in Bezug auf seine organischen, sprich leiblichen Anlagen nie frei. Der Leib ist das Ursprüngliche und seine Strukturen bedingen das Späte, die bewusste Wahrnehmung, das Ich bin. Dieses Ich bin ist nicht nur Element des Leibes, welches es als den seinen bezeichnet, es ist zudem Element - oder besser gesagt, eingebunden in umfassendere Strukturen wie Familie, Freunde, Vereine, Stadt, Staat und zuletzt in die Spezies Homo sapiens. Wie die Zelle, der Leib des Ich bin, unterliegen die Familie, der Verein etc. der Ur-Prämisse des Kosmos und damit des Seienden. Sie bedingt sowohl die Ereignisse, welche in der Realität zur Erscheinung gelangen als auch das ‘Wie’ ihres Seins und analog der kontinuierlichen Evolution des Seienden, dessen zunehmender Komplexität und Differenziertheit, unterliegt sie demselben Entwicklungsprozess. Sie evolviert zu dem Aspekt des Ich bin, der unter dem Begriff Moral firmiert. Das Sein will sich im Dasein erhalten und die Moral ist Ausdruck eben dieses Tuns.

„Der Kampf ums Dasein ist in Sicht, und keine anderen als die Gesetze vom Kampfe ums Dasein werden die Gesetze der Ethik [Moral] sein.“

Und:

„Erkennen wir die Vorgänge zwischen den Einzel-Ich im Innern des Menschen genau als dieselben, wie sie der Kampf ums Dasein zwischen den Menschen aufzuweisen hat, zeigt es sich überdies, daß dieser Kampf die Kreise, durch welche die einzelnen Menschen voneinander geschieden sind, durchbricht und die Einzel-Ich von Mensch zu Mensch geradeso aufeinander wirken, als sie im Innern des einzelnen Menschen aufeinander wirken, dann ist damit der äußere Kreis gegeben, welcher alle Einzel-Ich aller einzelnen Menschen in ihrer Wechselwirkung als höchste Gesamtperson der gesamten Menschheit umfaßt.“1

Moral ist Kampf ums Dasein mit anderen Mitteln. Das Ringen ums Überleben ist mit der fortschreitenden Entwicklung des Homo sapiens, des Ich bin, selbst zunehmend differenzierter geworden und damit eine Vielzahl an Möglichkeiten zu dessen Realisierung gewonnen. Dennoch, trotz der Mannigfaltigkeit des Homo sapiens, der unterschiedlichen Sprachen, Kulturen sowie der Religionen und Konfessionen, herrscht unter den Völkern der Erde ein großer Konsens in Bezug auf die moralische Grundeinstellung bezüglich ihrer Gebote und Verbote. Überraschend ist dieser Umstand nicht, schöpfen sie doch sämtlich aus dem gleichen, ursprünglichen Pool, der die Basis ihrer moralischen Regeln ist und darüber hinaus ihres gemeinsamen Diskurses bezüglich des moralischen Tuns in der heutigen Zeit.



1 Ebd. S. 76.

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